#seiunberechenbar – eine Kampagne für mehr Datenschutz?

Ein Informationsportal des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg berichtet im Rahmen der Kampagne #seiunberechenbar über „Algorithmen“ und persönliche Daten im Netz (Link am Ende des Textes).

Mittels kurzer Videos und Textbeiträgen werden sehr viele Hinweise für einen besseren Schutz persönlicher Daten gegeben, z.B.
z.B.

    • … bei der Nutzung von Suchmaschinen im World Wide Web (WWW)
    • … bei der Nutzung sozialer Netzwerke
    • … bei Finanzierungsvorhaben
    • … bei Bewerbungen
    • … in Sachen Gesundheit
    • … beim Navigieren mit Mobilgeräten unterwegs
    • … beim Einkaufen
    • … bei der Reisebuchung
    • … Tools für sicheres Surfen

Eine Fülle wirklich wertvoller Informationen, aber:
Die Gesamtproblematik „Ausforschung von Daten“ wird stets auf den Begriff „Algorithmus“ zurückgeführt. Zwar wird der Begriff im Glossar,  in einem Video und an einer Stelle im Text vollkommen richtig – als an sich wertfrei – erklärt, aber durch die wiederholte Verknüpfung von „Algorithmus“ und negativen Auswirkungen für schützenswerte persönliche Daten entsteht der Eindruck eines  „Übels“ – was aber so nicht stimmt.

Ein Algorithmus ist das Wissen um ein Vorgehen, das sich nachvollziehbar zur Lösung eines gestellten Problems eignet. Ganz banal gesagt, ist jedes Kochrezept die Niederschrift eines Algorithmus, obwohl der Begriff natürlich in erster Linie in der Mathematik / Informatik, z.B. beim Entwerfen von Computerprogrammen seine Bedeutung hat. Kurz: Jedwedes Computerprogramm /  jede App ist aus der Umsetzung eines Algorithmus entstanden.

Die Gefahren für den Schutz persönlicher Daten liegen jedoch ganz woanders, nämlich in

    • der längst uferlosen Ausforschung der Bürger durch Wirtschaftsunternehmen,
    • dem Sammeln immenser Datenmengen, deren Ausmaß und Inhalt den Bürgern als Erzeugern der Daten vorenthalten bleiben
    • der Analyse personenbezogener Daten durch immer leistungsfähiger werdende Computerprogramme, deren Arbeitsweise den Menschen unter Verweis auf ein Geschäftsgeheimnis vorenthalten wird
    • dem daraus resultierende Anlegen von Personenprofilen, die den davon betroffenen Menschen verborgen bleiben
    • der zielgerichteten, auf Personen und deren vermuteten Interessen, Vorlieben, Gesundheitsdaten, Schwächen, Bildung, finanziellen Möglichkeiten usw.  persönlich zugeschnittenen Ansprache, die längst nicht mehr als allenfalls lästige Werbung abgetan werden kann, sondern letztlich als Versuch einer Manipulation zu werten ist.

Das alles ist bekannt, wird täglich mit den Daten von Millionen von Menschen praktiziert und immer weiter perfektioniert.

Richtigerweise verweist das Ministerium auch auf die Bedeutung der Metadaten, die bei der elektronischen Kommunikation anfallen. Unter Metadaten versteht man Daten in geordneter Form, die Informationen über andere Verarbeitungsvorgänge oder Daten enthalten. E-Mails oder Kurznachrichten haben einen sachlichen Inhalt, die jeweilige Botschaft zwischen Sender und Empfänger; das sind die sog. Nutzdaten. Die Adressen der Kommunikationspartner, der Zeitpunkt des Versands oder die Häufigkeit der Kommunikation stellen dagegen Metadaten dar.

Metadaten sind häufig für die (Werbe-) Wirtschaft viel wertvoller, als die zuweilen auch trivialen Nachrichteninhalte. Aus der Frage „was geht ab?“ lassen sich kaum Erkenntnisse gewinnen, aus den gesammelten Adressen und der Zuordnung „wer kennt wen?“ jedoch sehr viele.

Sowohl E-Mail-Adressen als auch Telefonnummern (mit Ländervorwahl) sind jeweils weltweit einmalig, dienen heute der eindeutigen Identifizierung von Menschen und werden für das Anlegen von Personenprofilen genutzt. Ihr Wert liegt um ein Vielfaches über dem von Namen und Wohnanschriften. Wenn wir nicht – so wie bisher leider viel zu häufig – wiedererkennbar sind, beißt sich auch die (künstlich-) intelligenteste Ausforschungssoftware die Zähne aus.

Leider gibt das Informationsportal den Bürgern keine Hinweise und Tipps, wie sie bereits jetzt die Weitergabe von Adressdaten verhindern oder zumindest minimieren können (z.B. keine Synchronisation der Kontakte mit den Diensten von Facebook, Google, Apple, Samsung, Microsoft usw., Anlegen und Nutzen von Alias-E-Mail-Adressen, Verzicht auf die Angabe einer Mobil-Telefonnummer). Stattdessen wird auf eine Verantwortung des Bundes sowie auf die zeitlich und inhaltlich noch offene Verabschiedung der ePrivacy-Verordnung auf EU-Ebene verwiesen.

Geradezu ein Paradebeispiel für die ungehemmte Sammlung von Metadaten ist schließlich WhatsApp. Ursprünglich als Kurznachrichtendienst aufgestellt, mittlerweile als soziales Netzwerk anzusehender  Dienst der Facebook Inc. vor dem schon seit Jahren von Verbraucherorganisationen, Datenschutzbeauftragten, der Stiftung Warentest und mindestens auch in einem Gerichtsurteil gewarnt wird. Lehrern und Polizeibeamten in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern ist die dienstliche Nutzung von WhatsApp aus gutem Grund verboten. In dem Informationsportal #seiunberechenbar wird WhatsApp dagegen nicht einmal erwähnt – dies muss Argwohn erzeugen.

Die Lösung kann nur darin bestehen, dass wir Bürger uns gegenüber der (Werbe-)Wirtschaft so wenig wie nur möglich offenbaren. Der Titel der Kampagne #seiunberechenbar ist deshalb gut und richtig. Aber nicht die Verarbeitungsregeln eines Computerprogramms (die Algorithmen) sind das Problem, sondern das ungehemmte Sammeln und unkontrollierte Verwerten von Personendaten und dabei besonders das der Metadaten (vor allem E-Mail-Adressen und Mobil-Telefonnummern) durch Wirtschaftsunternehmen. Die (unangebrachte) Überbetonung der Algorithmen durch das Landesministerium erzeugt vor diesem Hintergrund ein „schiefes Bild“ der tatsächlichen Bedrohungslage und erweckt Misstrauen, wessen Interessen durch diese argumentative Schieflage geschützt werden sollen.

Das erwähnte Informationsportal erreichen Sie hier.

Quelle: Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg vom 24.10.19